Exkurs: Künstler im Krieg - "Verdun, das ist das Unfassbare ..." |
„Der Blaue Reiter ist gefallen,
ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten… er war der, welcher die Tiere noch reden hörte. Und verklärte ihre unverstandenen Seelen. Wo der Blaue Reiter ging, schenkte er Himmel.“ Else Lasker-Schüler nach dem Tode ihres Freundes Franz Marc, Berliner Tageblatt vom 09.03.1916 |
Als Unteroffizier zog Franz Marc am 30. August 1914 in den Krieg. Zwischenzeitlich zum Leutnant der Landwehr befördert, starb er, durch mehrere Granatsplitter auf einem Erkundungsritt schwer verwundet, am 04.03.1916 in dem Ort Braquis in der Woevre-Ebene, etwa 15 Kilometer östlich Verdun. Franz Marc war kurz zuvor in die Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands aufgenommen und vom Kriegsdienst freigestellt worden.
Am Morgen des 04.03.1916 hatte Franz Marc seiner Frau Maria noch ein paar Zeilen nach Hause geschrieben: "Ja, dieses Jahr werde ich auch zurückkommen. In mein unversehrtes, liebes Heim. Zwischen den schaudervollen Bildern der Zerstörung, zwischen denen ich jetzt lebe, hat dieser Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist. Sorg Dich nicht, ich komme schon durch." |
Nur wenige Stunden später war Franz Marc tot.
An Hand der Kriegsbegeisterung der Intellektuellen von damals lässt sich erahnen, warum es zu Schlachten wie derjenigen bei Verdun überhaupt kommen konnte. Nicht nur Militärs, sondern auch Schriftsteller und Künstler zogen 1914 freiwillig und mit voller Begeisterung an die Front. Es entsprach einer gängigen Meinung, dass der Krieg zur Überwindung gesellschaftlicher Verkrustungen unumgänglich sei und eine reinigende Wirkung auf "das kranke Europa" haben werde. So prophezeite es Franz Marc seinem Künstlerfreund Wassily Kandinski 1914 in einem Brief. Im Frühjahr 1915 notierte er als Soldat in sein Skizzenbuch aus dem Feld: "Ich stehe mit pochendem Herzen am Anfang der Dinge."
Mit Franz Marc fielen allein in den Kämpfen bei Verdun etwa 300.000 junge Männer, Franzosen, Deutsche, Österreicher, Italiener, Afrikaner, Amerikaner, Angehörige anderer Nationen und Bewohner aller Kontinente. Die meisten starben im Alter zwischen 18 und 30 Jahren.
In Frankreich und Deutschland löschte der Erste Weltkrieg einen Großteil dieser Altersgruppe aus. Viele von denen, die den Krieg überlebten, schickte der Erste Weltkrieg als körperliche oder geistige Krüppel nach Hause. Die Söhne dieser Heimkehrer starben wiederum im Alter von 18 bis 30 Jahren im nächsten Weltkrieg, der noch ungeahntere Ausmaße annehmen sollte. |
Künstler wie Franz Marc und sein bester Freund August Macke, der im August 1914 zum 160. Infanterie-Regiment in Bonn eingezogen wurde, sahen in dem kommenden Krieg ein notwendiges politisches Ereignis. August Macke fiel bereits am 26. September 1914 bei Perthes-les-Hurlus in der Champagne. Andere Intellektuelle erblickten im Krieg ein künstlerisches Erlebnis. Otto Dix, der als Freiwilliger den gesamten Kriegsverlauf in Ost und West mitmachte, soll geäußert haben: "Ich bin so ein Realist, dass ich alles mit eigenen Augen sehen will.." Max Beckmann schrieb im April 1915 nach Hause: "Meine Kunst kriegt hier zu fressen." Der französische Maler Ferdinand Léger schrieb am 28. März 1915 an seine Frau: "All den Idioten, die sich fragen, ob ich noch Kubist bin oder sein werde, wenn ich zurückkomme, kannst Du sagen, etwas Kubistischeres als einen Krieg wie diesen gibt es nicht, wo ein Mann mehr oder weniger ordentlich in mehrere Stücke zerfetzt und in alle vier Himmelsrichtungen geschleudert wird."
|
Der Schriftsteller Walter Serner versuchte sich an einer einfachen Erklärung dieser Kriegsbegeisterung. Er beschrieb den Krieg als eine Reaktion auf das "umherlaufende Gespenst der Langeweile", das viele Intellektuelle und Künstler zu der damaligen Zeit empfanden.
Der aus Posen stammende Schriftsteller Ernst Toller war ab dem 08. August 1914 Kriegsfreiwilliger im 1. K.B. Fußartillerie-Regiment. Nach dem Krieg war er einer der maßgeblichen Novemberrevolutionäre in der bayerischen USPD und später überzeugter Pazifist. Anfang 1914 schrieb er "Wir Jungen wünschen den Krieg herbei. Der Friede ist eine faule und der Krieg eine große Zeit, sagen die Professoren. Wir sehnen uns nach Abenteuern. Vielleicht werden uns die letzten Schuljahre erlassen und wir sind morgen in Uniform. Das wäre ein Leben ..." Im Mai 1916 erlitt Toller in den Kämpfen bei Verdun einen totalen Nervenzusammenbruch, der ihn trotz intensiver Behandlungen kriegsverwendungsuntauglich beließ. Er begann noch zu Kriegszeiten in München ein geisteswissenschaftliches Studium und verkehrte in diversen literarischen Kreisen. Toller war maßgeblich an den Umsturzbemühungen des Jahres 1919 beteiligt und musste bis 1924 eine Haftstrafe verbüßen. Er emigrierte bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf Umwegen in die USA. 1933 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im selben Jahr schrieb er das bemerkenswerte autobiografische Buch "Eine Jugend in Deutschland".
|
Viele Künstler, die damals noch sehr jung waren und deren Werke wir heute wie die alter Meister verehren, wurden Opfer dieses Krieges. Die Kunst wäre ohne den Ersten Weltkrieg eine völlig andere, sowohl durch diejenigen, die in ihm starben, als auch durch die, die ihn überlebten.
Auf http://www.zeno.org/Kunst/W/Inhaltsverzeichnis lässt sich der Schriftwechsel zwischen einzelnen Protagonisten der damaligen Intellektuellen-Szene nachlesen, so insbesondere der Gedankenaustausch zwischen Franz Marc und seinem Freund August Macke und auch die Mitteilungen Marcs an seine Frau und Familie während des Krieges. Es handelt sich um bemerkenswert moderne und klare Darstellungen dieser jungen Männer, die einen realistischen und auch emotionalen Blick auf deren Gedanken- und Gefühlswelt eröffnen und auf die gesamte gesellschaftliche und politische Situation im damaligen Deutschland. |