Laon - Deutsche Besetzung 1914-1918
Weithin sichtbar ragt der steile Sandsteinfelsen mit der Altstadt von Laon auf seiner Kuppe etwa hundert Meter aus der flachen Landschaft der Picardie empor. In einer Breite von zwei Kilometern wird die hoch gelegene Altstadt von einer etwa sieben Kilometer langen Stadtmauer umschlossen. An den vielen meist engen Gassen im Inneren der imposanten Wehranlage finden sich rund um die frühgotische Kathedrale Notre-Dame de Laon unzählige mittelalterliche Bauwerke, die die bewegte Geschichte der Stadt erzählen. Der Schriftsteller Victor Hugo schwärmte im Sommer des Jahres 1835 in einem Brief an seine Frau Adéle:
J’ai quitté Laon ce matin, vieille ville avec une cathédrale qui est une autre ville dedans, une immense cathédrale qui devait porter six tours et qui n’en a que quatre, quatre tours presque byzantines, à jour comme les flèches du XVIe siècle. Tout est beau à Laon, les églises, les maisons, les environs, tout… |
Die Altstadt von Laon ist heute das größte zusammenhängende und denkmalgeschützte Areal Frankreichs.
Laon - Erste Kriegseinwirkungen im September 1914
Der Erste Weltkrieg erreichte Laon ab Mitte des Monats August 1914 in Form einer wachsenden Zahl belgischer und französischer Zivilisten, die vor den deutschen Truppen aus den grenznahen Gebieten flohen. Nach Niederringung des unerwartet zähen belgischen Widerstandes durchquerte die deutsche Kriegsmaschinerie nahezu ungehindert den Norden Frankreichs und trieb die strategisch schlecht organisierten französischen Einheiten vor sich her. Frankreich stand am Rande einer Niederlage.
Aufgrund strenger Geheimhaltung und mangels genauerer Informationen in der französischen Presse war die Bevölkerung auf die Umstände des herannahenden Krieges überhaupt nicht vorbereitet. Wer es noch rechtzeitig schaffte, floh aus den betreffenden Gebieten, vielfach in Richtung der französischen Hauptstadt Paris oder direkt ins Ausland. Es waren vorwiegend Angehörige des bürgerlichen und administrativen Milieus der Städte, die die tatsächlichen Möglichkeiten und finanziellen Mittel für eine Flucht besaßen. Die übrige Bevölkerung, Arbeiter, Handwerker, Landwirte, aber auch Arme, Alte, Kranke und Gebrechliche, blieben zurück.
Die Einwohnerzahl Laons, die vor dem Krieg einschließlich der dort stationierten Armeeangehörigen gut 16.000 betrug, verringerte sich bis zum Beginn des Jahres 1915 auf etwa 9.700 und sank bis Kriegsende 1918 auf unter 5.000 Personen. |
Nachdem die französische 5. Armee unter General Charles Lanrezac am 23. August 1914 in der Schlacht an der Sambre (franz.: Grande bataille de Charleroi) eine deutliche Niederlage erlitten hatte und damit dem weiteren Vormarsch der 2. deutschen Armee unter General Karl von Bühlow nichts mehr im Wege zu stehen schien, wurde auch in Laon der Alarmzustand ausgerufen. Am 25. August 1914 hatten deutsche Truppen weiter nördlich bereits die Stadt Lille erreicht. Am 31. August 1914 verließ der letzte reguläre Zug den Bahnhof von Laon, hauptsächlich besetzt mit Angehörigen der Département-Verwaltung und noch in Laon befindlichen französischen Soldaten. Der Verwaltungssitz des Départements Aisne und auch die Präfektur waren bereits einige Tage zuvor in das südlich an der Marne gelegene Château-Thierry verlegt worden. In Laon verblieben einzelne Angehörige der Stadtverwaltung und des Stadtrats mit dem damaligen Senateur-Maire Georges Ermant. Man versammelte sich allmorgendlich in der Mairie und sah besorgt den kommenden Geschehnissen entgegen.
Am 29. und 30. August 1914 kam es im Zuge der Schlacht bei St. Quentin zu einem überraschenden französischen Gegenangriff und schweren Kämpfen um die Oise-Übergänge. Nach kritischen Momenten endeten diese für die 2. deutsche Armee siegreich und der französische Rückzug setzte sich Richtung Süden und Südosten fort. Die deutschen Truppen folgten jetzt aber verhalten, zumal aufgrund der übermäßigen Strapazen durch die Armeeführung für den 31. August 1914 ein Ruhetag angeordnet wurde. Aufklärungs-Patrouillen meldeten, dass sowohl das befestigte la Fère als auch die Stadt Laon mit der Zitadelle von feindlichen Truppen geräumt worden war. Das X. Reserve-Korps sollte ab dem kommenden Morgen mit der 2. Garde-Reserve-Division westlich und der 19. Reserve-Division östlich an der Stadt vorbeimarschieren.
Die Vorhut der 19. Reserve-Division bildete das Reserve-Dragoner-Regiment Nr. 6. Befehlsgemäß begab sich der Regiments-Adjutant, Leutnant von Alvensleben, mit einigen Dragonern am Morgen des 2. September 1914 nach Laon, um die förmliche Inbesitznahme und eine Requirierung vorzunehmen. Als erster deutscher Offizier seit Kriegsbeginn betrat er die Mairie. Er erklärte, Stadt und Bewohner hätten nichts zu befürchten, soweit es zu keinen feindseligen Handlungen komme. Mit mehreren Karren, beladen vor allem mit Brot, Konserven, aber auch 20 Flaschen Champagner, begab sich der kleine Trupp wieder zu den eigenen Einheiten.
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Laon - Die vergessenen Preußen von 1870
Leutnant von Alvensleben war ein Großneffe des Obersten Gustav Hermann von Alvensleben, während des Deutsch-Französischen Krieges Kommandeur des Schleswig-Holsteinischen Ulanen-Regiments Nr. 15 und der 15. Kavallerie-Brigade. Am 9. September 1870 kapitulierte Laon nach Verhandlungen zwischen diesem und dem Kommandanten der Festung, General Charles Louis Théremin d´Hame. Als General Théremin und der Kommandeur der 6. Kavallerie-Division, Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin, in der Zitadelle gerade die Kapitulationsurkunde unterzeichnet hatten und sich zu dieser Zeit viele französische Soldaten der Mobilgarde im Innenhof zur Waffenabgabe befanden, brachte der französische Wachsoldat Henriot Louis Dieudonné das Pulvermagazin der Festung zur Explosion. Es kam zu schweren Verwüstungen bis hinein in die nahegelegenen Stadtviertel von Laon.
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Etwa 500 Franzosen wurden verletzt oder verloren ihr Leben. Auf deutscher Seite waren es knapp 100 Soldaten, überwiegend Angehörige der 1. Kompanie des Magdeburgischen Jäger-Bataillons Nr. 4, von denen gut 50 starben. Viele der Toten wurden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und konnten nicht geborgen werden. Verwundet wurden auch der Herzog von Mecklenburg-Schwerin und General Théremin. Letzterer verstarb am 4. Oktober 1870 und ruht heute auf dem Zivilfriedhof seiner Heimatgemeinde Bruyères et Montbérault.
118 Franzosen und 29 Deutsche wurden im Garten des Hôtel Dieu bei der Abtei Saint-Martin beigesetzt. Auf dem städtischen Friedhof Saint-Just wurden weitere Deutsche und Franzosen bestattet. Die im Garten des Hôtel Dieu ruhenden Toten wurden später auf den Friedhof Saint-Just in nebeneinanderliegende Sammelgräber umgebettet. Neben dem heute noch vorhandenen französischen Denkmal existierte dort auch ein deutsches, das jedoch im Jahr 1919 zerstört wurde. Beide Grablagen sind erhalten. Das deutsche Sammelgrab ist heute jedoch als solches nicht mehr erkennbar und in einem verwilderten Zustand. |
Nach der Explosion vom 9. September 1870 entging Laon nur durch Fürsprache des Obersten von Alvensleben der durch den Herzog von Mecklenburg-Schwerin bereits angeordneten Zerstörung. Als Leutnant von Alvensleben am 2. September 1914 in der Mairie den Requirierungsschein abzeichnete und dabei seine Identität preisgab, berichtete ihm der Bürgermeister Georges Ermant von den Geschehnissen des Jahres 1870 und ermahnte den jungen deutschen Offizier angesichts der Verdienste seines Großonkels. Mit den weiter vorrückenden deutschen Truppen endeten so einstweilen die unmittelbaren Kriegseinwirkungen auf Laon. Es blieb bei dem allgemeinen Befehl, die Stadt auf dem Vormarsch nicht zu betreten. Vereinzelt wird in zeitgenössischen französischen Schilderungen für die folgenden Tage von weiteren Requirierungen bis hin zu größeren Plünderungen berichtet. Dafür lassen sich aber keine objektiven Belege finden.
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Laon - Marneschlacht und Sitz des Armeeoberkommandos 7
In den folgenden Septembertagen 1914 schienen die Bewegungen des nördlichen deutschen Heeresflügels zunächst noch planmäßig zu verlaufen. Demgegenüber waren nahe Verdun an der Maas die Einheiten der 4. Armee bereits Ende August 1914 auf starken französischen Widerstand gestoßen. Zur Unterstützung hatten die Truppen der 3. Armee ihren Vormarsch in südliche Richtung geändert, sodass zur 2. Armee eine immer größer werdende Lücke entstand.
Das war der Vorbote des je nach Blickwinkel als Marnedrama oder Wunder an der Marne bekannt gewordenen Rückzugs der 1. und 2. deutschen Armee hinter die Aisne ab dem 8. September 1914 und damit des Scheiterns des deutschen Schlieffen-Plans. Es kam zur Ersten Schlacht an der Aisne, in deren Verlauf das in Gewaltmärschen aus Richtung Maubeuge herangeführte VII. Reserve-Korps im allerletzten Moment einen feindlichen Durchbruch auf den Höhen des Chemin des Dames verhindern konnte. Die Lage stabilisierte sich ab dem 14. September 1914 durch Einschub der aus dem Elsass kommenden und neu zusammengestellten 7. deutschen Armee.
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Nach dem Abflauen der Kämpfe verlief die Front der 7. Armee ausgehend Noyon über Craonne, Berry-au-Bac, östlich an Reims vorbei in Richtung Champagne und Verdun. Sie erstarrte, wie an allen anderen Abschnitten, zum Stellungskrieg. Laon befand sich nunmehr auf der Grenze zwischen dem Etappen- und Operationsgebiet, etwa 12 Kilometer hinter den nächstgelegenen vordersten Linien auf dem Chemin des Dames und damit außerhalb der Reichweite französischer oder englischer Feldartillerie. Die Stadt wurde schnell zu einem wesentlichen Zentrum der deutschen Logistik und Militärverwaltung im Mittelabschnitt der Westfront.
Aufgrund der verkehrsgünstigen Lage und des großen Bahnhofs mit direkter Verbindung in Richtung Heimat wurde bereits am 14. September 1914 das Armee-Hauptquartier 7 nach Laon verlegt. Das Armeeoberkommando 7 (A.O.K. 7) unter dem Befehl des Generals Josias von Heeringen bezog das Hôtel de la Préfecture an der heutigen Rue Paul Doumer. Im Hôtel de Ville am heutigen Place du General Leclerc und in diversen Nebengebäuden wurde zunächst die Mobile Etappen-Kommandantur 64 eingerichtet. |
Laon - Die Deutschen in Laon 1914-1918 - Les Allemands à Laon 1914-1918
Der während des Ersten Weltkriegs in Laon ansässige Rechtsanwalt und Regionalhistoriker Jean Marquiset beginnt seine im Januar 1919 unter dem Titel "Les Allemands à Laon 1914-1918" veröffentlichte Chronik über die Zeit der deutschen Okkupation mit folgenden Worten:
Vorwort |
Demgegenüber beschreibt der Kriegskorrespondent Gustave Babin in seinem Artikel « Une heure dans Laon livre », der am 19. Oktober 1918 in der französischen Wochenzeitschrift L´Illustration erschien, seine Eindrücke am 14. Oktober 1918, unmittelbar nach der Wiedereinnahme der Stadt Laon durch französische Truppen, mit folgenden Worten:
[...] L’arrivée, par le faubourg de Semilly, le long de la belle route nationale bordée d’arbres séculaires, tous debout, pas même ébranchés, pas même éclaboussés de balles ; la traversée du faubourg, avec ses maisons intactes, aux vitres et aux meubles près, est déjà une surprise. C’est bien la première fois que, dans cette guerre, nous avons cette impression, et nous n’en croyons pas nos yeux. […] |
[...] Die Ankunft durch den Vorort Semilly, entlang der schönen Nationalstraße, die von jahrhundertealten Bäumen gesäumt ist, die mit all ihren Ästen noch stehen und nicht einmal von Gewehrkugeln getroffen wurden; die Durchquerung der Vorstadt mit den bis auf die Fensterscheiben und Möbel intakt gebliebenen Häusern, ist bereits eine Überraschung. Es ist das erste Mal in diesem Krieg, dass wir so etwas sehen und wir trauen unseren Augen nicht. [...] |
Die Umstände der Besetzung einer Stadt durch feindliche Streitkräfte unterliegen in jeder kriegerischen Auseinandersetzung einer sehr unterschiedlichen Beurteilung, je nachdem, ob man sie aus der Warte der okkupierenden und der okkupierten Streitkräfte betrachtet. Erst recht ergeben sich n und andererseits aus Sicht der betroffenen Zivilbevölkerung betrachtet. Das Thema wurde daher bereits vor dem Ersten Weltkrieg umfassend im Rahmen des Kriegsvölkerrechts und hier vor Allem
Chemin des Dames, Laon, Beisetzung einer am 31.03.1916 bei einem Luftkampf über der Stadt abgeschossenen franz. Flugzeugbesatzung (Leutnant Jean Moinier und Corporal Frédéric Quellenec)