Deutsch-Eck - la Belle Croix -
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Etwa zwei Kilometer östlich von Romagne liegt die Kreuzung der Straßen D 19 und D 66. Die Franzosen nennen sie nach einem dort stehenden Kreuz-Monument "la Belle Croix". Das Monument wurde Anfang 2017 durch Vandalismus zerstört und das Metallkreuz entwendet. Es wurde im Sommer 2017 wiedererrichtet. Bei den Deutschen hieß die Kreuzung "Deutsch-Eck", benannt nach dem Deutschen Eck in Koblenz, das mit dem Zusammenfluss von Rhein und Mosel einen ähnlichen optischen Eindruck wie die dort zusammenlaufenden Straßen vermittelt.
Im Umfeld existierten zwei Haltepunkte der Kriegs-Vollbahn. Romagne hatte zudem einen eigenen Bahnhof für die Feldbahn, von dem eine Trasse direkt bis nach Montmédy führte. Über diese Bahnhöfe wurde ein Großteil des Nachschubs und Truppenersatzes für die gesamte nördliche Verdun-Front abgewickelt, ebenso die Verwundeten-Rückführung in das Reichsgebiet. Der Truppenersatz kam im hiesigen Bereich an, wurde ausgerüstet und nach vorne in die Schlacht geschickt. Ein Großteil der Verwundeten wurde von hier mit der Feld- oder Vollbahn in Richtung der großen Lazarette in Longuyon, Montmédy und in das Reichsgebiet transportiert. Der Bereich "Deutsch-Eck" wurde vielfach die "Drehtür der Verdun-Front" genannt.
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In der Umgebung der Kreuzung befanden sich mehrere große Lagerbereiche für bis zu 18.000 Mann sowie weitere militärische Infrastruktur-Einrichtungen wie Munitionslager, Pionier-Parks, Pferdeerholungsheime und mehrere Feldlazarette. Heute findet man in den umliegenden Wäldern bis auf die ehemaligen Wege und Bahntrassen kaum noch nennenswerte Reste dieses großen Komplexes.
Hart nördlich der Kreuzung war
zu Beginn der Verdun-Schlacht eine Batterie 42-cm-Mörser "Dicke
Bertha" eingesetzt. Die Position ist auf der Karte mit
"M5" markiert. M steht für M-Gerät, die taktische Bezeichnung des
Geschützes. Die "Dicke-Bertha" erhielt den Tarnnamen "Kurze
Marine-Kanone". Es handelte sich demnach um die Kurze-Marine-Kanonen-Batterie Nr. 5. Etwas weiter nördlich am Austritt der D 66 aus dem Bois de
Mangiennes, befand sich eine Batterie 30,5-cm-Mörser,
genannt "Beta-Gerät", taktische Bezeichnung: "ß2". Das
"Beta-Gerät" wurde "Schwerer-Küsten-Mörser" genannt. Es handelte
sich demnach um die Schwere-Küsten-Mörser-Batterie Nr. 2. Man wollte durch die
Marine-Bezeichnungen den beabsichtigten Landeinsatz dieser überschweren
Geschütze verschleiern.
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Die schweren Batterien waren standardmäßig mit zwei
Geschützen ausgestattet, wobei die M-Batterie Nr.5
nach Quellenlage auf Grund eines frühzeitigen Rohrkrepierers schon zu Beginn der Verdun-Schlacht nur noch über ein Gerät verfügte. Nachdem sich die Geschütze in den Kämpfen um die belgischen Forts als sehr zuverlässig erwiesen hatten, kam es ab 1916 vermehrt zu Rohrdetonationen. Grund dafür war, dass zuvor noch penibel hergestellte Munition aus der Friedens-Produktion verwendet wurde, ab 1916 jedoch nur noch vielfach mangelhafte Munition aus Kriegs-Produktion vorhanden war. Die Ressourcen-Knappheit führte bereits hier zu Produktionsmängeln. Nach vier Monaten Kampf verfügte im Juni 1916 keine der vor Verdun eingesetzten M-Batterien mehr über ihre volle Geschütz-Ausstattung.
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In den umliegenden Wäldern
finden sich vielfach noch Reste der ehemaligen Artillerie-Stellungen. Eine dieser Stellungen ist unmittelbar an der D 66 am
nördlichen Rand des Waldes "les Nouelles" östlich der Roises-Ferme
anzutreffen. Bei den Deutschen hieß dieser Wald "Neuer Wald". Mehrere
Bodenvertiefungen zeigen die ehemaligen Geschütz-Standorte. Zudem finden sich
Reste von Beton-Bauten die den Geschützmannschaften als Unterkunft und
Lagerraum dienten.
Exkurs: Dr. med. Alfred Bauer - Arzt in Deutsch-Eck
Dr. med. Alfred Bauer, * 18.03.1878 in Luttringhausen, + 18.01.1955 in Hannover, war 36 Jahre alt, als er im August 1914 in seiner damaligen Heimatstadt Bad Rothenfelde kriegsdienstverpflichtet wurde. Über seine Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges fertigte er ein ca. 600 Seiten starkes Tagebuch, das in den 1990er Jahren auf Veranlassung seines Enkels, Forstdirektor a.D. Peter Lex aus Lüneburg, in Maschinenschrift übertragen wurde.
Nachdem Dr. Bauer ab 1908 als Badearzt in Bad Rothenfelde tätig war, wurde er bei Ausbruch des Krieges als Reservist zu einer Sanitätskompanie des 78. Landwehr-Infanterie-Regimentes, aufgestellt in Braunschweig (Stab & III. Btl.) und Celle (I. & II. Btl.), einberufen. Bereits ab seinem Mobilmachungstag am 02. August 1914 war Dr. Bauer als Musterungsarzt in Lüneburg tätig. Am 11. August 1914 fuhr er vom Bahnhof Lüneburg mit der Eisenbahn an die Westfront. |
Mit dem deutschen Heer marschierte Dr. Bauer in Befolgung des Schlieffen-Plans in das neutrale Belgien ein. Am 18. September 1914 erhielt er als erster Arzt des deutschen Heeres das Eiserne Kreuz. II. Klasse. Auf Grund seines tapferen Verhaltens bei den Kämpfen Ende September 1914 im Norden der Stadt Reims wurde ihm am 8. Oktober 1914 auch die I. Klasse des Eisernen Kreuzes verliehen.
Im Februar 1915 wurde Dr. Bauer zum Feldlazarett 6 der 19. Reserve-Division versetzt und Mitte März 1916 an die Verdun-Front verlegt. Hier war der von der Obersten Heeresleitung erhoffte deutsche Durchbruch "im beschleunigten Verfahren" nicht gelungen und täglich waren hunderte Verwundete aus den Kämpfen zu versorgen. Als die Truppe an ihrem Einsatzort, der damaligen Kranken-Sammelstelle Deutsch-Eck, ankam, fand Dr. Bauer eine völlig unzureichende Situation vor. Das betraf zum einen die desolaten hygienischen Verhältnisse, zum Anderen die Tatsache, dass mit den ankommenden Verletzten nicht angemessen umgegangen werden konnte. Schwer- und Schwerstverwundete konnten mangels entsprechender Kapazitäten nicht versorgt werden. Sie wurden mit der Bahn auf den Weg zu Kriegslazaretten im Hinterland oder direkt weiter in das Reichsgebiet geschickt.
Viele Verwundete starben auf dem Transport, der meist mit
alten Güterwaggons erfolgte. Leichtverwundete und an Allgemeinkrankheiten Leidende, denen sich frontnahe
Sanitätseinheiten schnell entledigten, konnten ebensowenig angemessen behandelt
werden. Auch sie wurden meist ungeprüft nach hinten geschickt.
Dr. Bauer schildert, wie es so einer großen Anzahl von Soldaten gelang, mit
leichtesten Blessuren den Rücktransport nach Deutschland zu
erreichen und sich der kämpfenden Truppe in dieser Weise auf Monate zu entziehen.
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Um dieser Mißstände Herr zu werden, vor Allem um die allgemeinen Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern, nutzte Dr. Bauer alle sich ihm bietenden Möglichkeiten auch abseits langer Dienstwege. Er schildert zum Beispiel, durch den Leiter des Pionierparks in Romagne-sous-les-Côtes, einem Bundesbruder aus seiner Studentenverbindung, der Burschenschaft Alemannia zu Bonn, mit allem notwendigen Baumaterial versorgt worden zu sein.
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So war er in der Lage, Unterkunfts-Hütten für sich und seine Mitarbeiter, einen Operations- und Behandlungsraum sowie eine Küche zu schaffen. Ein betoniertes Bassin für etwa 24 qbm Wasser wurde nebst Filteranlage errichtet. Die Anlage speiste einerseits das Lazarett, sie ermöglichte andererseits den Soldaten, die auf der heutigen D 66 in die Kämpfe marschierten, ihre Wasserflaschen nochmals zu füllen. Die Wege des Lazarettbereichs wurden mittels Schotter der nahe gelegenen Eisenbahn-Einrichtungen befestigt. Zudem organisierte Dr. Bauer durch das Beschaffen von Zelten weitere Unterbringungsmöglichkeiten. Nach und nach entstand aus der einfachen Kranken-Sammelstelle Deutsch-Eck bis April 1916 ein Feldlazarett, in dem etwa 120 Verletzte jeden Schweregrades behandelt und betreut werden konnten.
Detailliert berichtet Dr. Bauer über die Schwierigkeiten, die sich bei der Versorgung und dem Rücktransport der Verwundeten aus den vordersten Kampflinien im Abschnitt Douaumont ergaben. Für die meisten dieser Soldaten war das Fort de Douaumont die erste Anlaufstation. Im Fort befand sich ein Lazarett mit Operationsraum, in dem der Berliner Frauenarzt Dr. Benno Hallauer als Chirurg leitend tätig war. Mit dem Kollegen hatte Dr. Bauer mehrfach Kontakt und schildert in seinem Tagebuch detailliert die Unterhaltungen der beiden Ärzte, beispielsweise zu den Bedingungen der Verwundetenversorgung, der allgemeinen militärischen Situation und besonders auch der Explosionskatastrophe im Fort de Douaumont am 08. Mai 1916.
Das
nahe der vordersten Linien befindliche Fort de Douaumont war zu jeder
Zeit mit Verletzten und Ablösungen heillos überfüllt,
Verwundete wurden, wenn irgend möglich, nach hinten abgeschoben. Weitere
Stationen für sie waren dann die frontnahen Verbandsplätze, beispielsweise in der
Chauffour-Schlucht (Totenschlucht), der Albain-Schlucht oder bei der
Chambrettes-Ferme. Bis hierhin mussten nicht marschfähige Verwundete
getragen werden, was auf Grund des Artilleriefeuers zu erheblichen
Verlusten auch bei den Krankenträger-Einheiten führte. Von den vorderen Verbandsplätzen ging es mit der Benzolbahn weiter zu den frontnahen Feldlazaretten. Eines dieser Lazarette lag bei Azannes, ein anderes bei Romagne. Diese Lazarette, in denen Verwundete erstmalig einen Arzt zu Gesicht bekamen, waren ebenso völlig überfüllt und zur Behandlung schwerer Verletzungen nicht in der Lage. Betroffene wurden weiter nach hinten geschickt und landeten im Bereich anderer Lazarette oder der Sammelstellen wie derjenigen bei Deutsch-Eck oder auch an der Sorel-Ferme.
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Im Mai 1916 kam es sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite zu verstärkten Angriffsbemühungen. Die deutsche 5. Armee hatte für den 06. Mai 1916 ein größeres Angriffsunternehmen befohlen, das den Franzosen aber bekannt geworden war. Sie beschossen unmittelbar vor dem geplanten Angriffsbeginn die deutschen Sturmausgangs- und Reservestellungen. Hierdurch traten massivste Verluste ein und der deutsche Angriff wurde im Keim erstickt.
In den folgenden Tagen gingen die Franzosen im Bereich des Fort de Douaumont selbst zum Angriff über. Am 08. Mai 1916 kam es dabei zu einer Katastrophe, bei der durch explodierende französische Granaten etwa 800 Soldaten den Tod fanden. Ab dem 20. Mai 1916 erfolgten erneut massivste französische Angriffsbemühungen, bei denen kurzzeitig Teile des Forts zurückerobert werden konnten. Die Angriffe und Gegenangriffe hielten bis in den Juni 1916 ununterbrochen an. Sie führten dazu, dass in Deutsch-Eck täglich bis zu 1.200 Schwer- und Leichtverwundete behandelt werden mussten.
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Am
02. Juni 1916 erhielt Dr. Alfred Bauer die Mitteilung, dass er in den
kommenden Tagen durch eine bayerische Sanitätseinheit abgelöst werde. Bis
zum 05. Juni 1916 wies er seinen Nachfolger in die dortige Tätigkeit
ein. Sodann, wie er schildert, besuchte er zum Abschied den deutschen
Soldatenfriedhof von Romagne-sous-les-Côtes, auf dem viele der in
Deutsch-Eck ihren Verletzungen erlegenen Soldaten beigesetzt worden
waren.
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Im Anschluss wurde seine Einheit nach Colmey bei Longuyon in ein Ruhequartier verlegt. Seine Schilderungen über die Zeit als Stabsarzt in Deutsch-Eck beendet Dr. Bauer mit einer Statistik, wonach er insgesamt etwa 14.000 Verwundete und Kranke in Deutsch-Eck behandelt habe, von denen etwa 10.000 durch Kriegsmittel verletzt worden waren. Etwa 8.000 Granatverletzungen und davon viele meist tödlich endende Kopfverletzungen waren darunter. Nach seinen anklagenden Darstellungen hätten viele Fälle durch die frühzeitigere Ausstattung der Soldaten mit Stahlhelmen günstiger enden können.
Dr. Alfred Bauer überlebte den Ersten Weltkrieg. Er starb am 18.01.1955 in Bad Rothenfelde.
Sein Sohn, selbst Stabsarzt im Zweiten Weltkrieg, schaffte es 1943, dem Kessel von Stalingrad zu entkommen und überlebte diesen weiteren Weltkrieg ebenfalls. In Bad Rothenfelde existiert heute das bereits durch Dr. Alfred Bauer begründete Heimatmuseum, das sich mit der Geschichte des Osnabrücker Landes bis zurück in die Frühgeschichte beschäftigt.
Die zeitgenössischen Fotos aus dem Bereich "Deutsch-Eck" wurden überwiegend einem Artikel von Pierre Lenhard aus Romagne-sous-les-Côtes entnommen, der zum selben Thema in der 5. Ausgabe der französischen Zeitschrift "Tranchées" im Jahr 2011 erschienen ist.