Vor knapp 105 Jahren, am 4. Mai des Weltkriegsjahres 1917, ereignete sich auf den beschaulichen Höhen des Chemin des Dames nördlich des kleinen Dorfes Craonne eine Tragödie, der viele Soldaten des Badischen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 111 zum Opfer fielen. Während des vorbereitenden Trommelfeuers für einen französischen Großangriff wurde am Nordhang des „Winterberges“ der Eingang eines tief in den Untergrund führenden Stollens, des sogenannten Winterberg-Tunnels, verschüttet und dort lagernde Munition entzündet. Angehörige mehrerer Kompanien des RIR 111 wurden im Stollen eingeschlossen und starben einen qualvollen Tod. Die Geschehnisse und auch die Toten gerieten im Fortgang des Ersten Weltkriegs aus dem militärischen Fokus. Ab dem Jahr 2018 wurde die Öffentlichkeit wieder auf den Vorgang aufmerksam. Französische und deutsche Stellen wurden aktiv, um die mögliche Grablage zu erforschen und zu sichern. Umfangreiche Recherchen in deutschen Archiven und mehrere wissenschaftlich begleitete Erkundungen unter Leitung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. führten ab dem Jahr 2020 zur Lokalisierung mehrerer Hohlräume im Berg. Nach einer weiteren Vorerkundung nebst Historiker-Konferenz im Rathaus von Craonne Anfang April dieses Jahres steht nunmehr eine Untersuchung mittels moderner Bohrtechnik an, die abschließend Klarheit über das Schicksal der Soldaten im Berg und auch für das weitere Prozedere bringen soll. Offz.Stellv. Jakob Knöpfle - Geschichte eines Mantels Bei einer vorbereitenden Grabung im April 2021 fanden sich im Bereich des vermuteten Eingangs des Winterberg-Tunnels mehrere Relikte aus Kriegszeiten, so unter anderem auch die Überreste eines deutschen Soldatenmantels. Das schlecht erhaltene und zunächst unscheinbare Kleidungsstück entpuppte sich bei näherer Betrachtung als durchaus interessant: Neben den wie üblich auf den Schultern des Mantels angebrachten Truppenabzeichen, die den ehemaligen Besitzer als Angehörigen des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 111 auswiesen, fand sich in einer Tasche ein weiteres Paar Schulterklappen, das Rätsel aufgab. Es stammte nicht von dem im Frühjahr 1917 am Winterberg eingesetzten RIR 111, sondern von einer anderen Einheit, nämlich dem 6. Badischen Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich III. Nr. 114. Diese auch das „Grüne Regiment“ genannte Einheit war zu keinem Zeitpunkt im Bereich des Winterberges oder überhaupt am Chemin des Dames eingesetzt. Der Träger des Mantels musste also in irgendeiner anderen Beziehung auch zu diesem Regiment gestanden haben. Nach aufwändiger Auswertung der Kriegsstammrollen des RIR 111, in denen der militärische Werdegang aller Mannschaften und Unteroffiziere festgehalten ist, ergab sich ein erster Hinweis: Einer der Soldaten war offenbar am 2. August 1914, also unmittelbar zu Kriegsbeginn, als Unteroffizier zu dem Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 111 abkommandiert worden und dort bei der 9. Kompanie eingesetzt. Zuvor war er im Jahr 1910 als Ersatz-Rekrut in das 6. Badische Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich III. Nr. 114 eingetreten und dort in den folgenden vier Jahren als Berufssoldat über den Dienstgrad eines Gefreiten bis zum Unteroffizier befördert worden. Es handelte sich um den Offiziersstellvertreter Jakob Knöpfle aus Konstanz, geboren am 22. Juni 1890 in Riedböhringen, heute ein Ortsteil der Stadt Blumberg im Schwarzwald-Baar-Kreis, Baden-Württemberg, gefallen nach den Angaben in der Kriegsstammrolle am 3. Mai 1917 durch Granatsplitter in der Stellung am Winterberg bei Craonne an der Aisne. Die Verknüpfung beider Regimenter in der Person des zum Todeszeitpunkt 26-jährigen Jakob Knöpfle legte bereits nahe, dass es sich um den Mantel des jungen Soldaten handeln könnte. Dennoch passte der Auffindungsort am vermutlichen Eingang des Winterberg-Tunnels nicht recht zu dem Umstand, dass Offz.Stellv. Knöpfle nach den Angaben in der Kriegsstammrolle einen Tag vor der Katastrophe „in der Stellung am Winterberg“ gefallen war und damit nicht am 4. Mai 1917 im Tunnel verschüttet wurde. Eine verbindliche Aussage war damit noch nicht zu treffen.
Anhand dieser Sachlage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Offz.Stellv. Jakob Knöpfle am 3. Mai 1917 am Eingang des Winterbergtunnels durch Granatsplitter tödlich verwundet wurde, sein Mantel dort bis zur Katastrophe einen Tag später verblieb und bei dem französischen Granatbeschuss ebenfalls verschüttet wurde. Jakob Knöpfle wurde nach den Angaben in der Kriegsstammrolle bereits am 4. Mai 1917 auf dem Ortsfriedhof von Saint-Erme, heute Teil der im Département Aisne gelegenen Gemeinde Saint-Erme-Outre-et-Ramecourt, beigesetzt. Im Zuge der Umbettungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden seine sterblichen Überreste auf die neue Kriegsgräberstätte Sissonne überführt, wo Jakob Knöpfle heute im Einzelgrab 237, Block 9, ruht. Nachtrag: Der Mantel nebst Schulterklappen wie auch die übrigen Fundstücke befinden sich in der fachkundigen Obhut der französischen Archäologiebehörde DRAC. Gegebenenfalls werden sie Teil einer durch das Generallandesarchiv Baden-Württemberg in Karlsruhe geschaffenen und am 18. Mai 2022 zu eröffnenden Wanderausstellung. Der neben Offz.Stellv. Jakob Knöpfle auf dem Ortsfriedhof von Saint-Erme erstbestattete Soldat Alfred Rogg (vgl. obiges zeitgenössisches Foto) fiel durch Kopfschuss ebenfalls am Nachmittag des 3. Mai 1917 am Winterberg. Geboren am 14.10.1896 und wohnhaft in Sankt Blasien im Hochschwarzwald, war er im Hauptberuf Fotograf und als Kriegsfreiwilliger/Gefreiter Angehöriger der 5. Kompanie des RIR 111. Auch er ruht auf der Kriegsgräberstätte Sissonne, und zwar im Einzelgrab Nr. 162, Block 10. Leutnant d.R. Karl Zwiffelhoffer, Angehöriger der 9. Kompanie des RIR 111, dessen Beisetzung in der Regimentsgeschichte auf Seite 149 fotografisch dokumentiert ist, fiel entgegen den dortigen Angaben nicht bereits am 3. Mai 1917, sondern wurde am Eingang des Winterberg-Tunnels verwundet. Er erlag seinen schweren Verletzungen am 4. Mai 1917 auf dem Truppenverbandplatz in der Ortschaft Montaigu. Ausweislich seiner Personalunterlagen wurde er, wie die beiden anderen Kameraden, in Saint-Erme erstbestattet. Die Umstände einer möglichen Umbettung sind bislang nicht geklärt. In der Datenbank des VDK e. V. findet sich ein Karl Zwiffelhofer mit dem Todes-/Vermisstendatum 25. Oktober 1917, verzeichnet auf dem Hauptfriedhof der Stadt Karlsruhe, Grab 39, Block F. Möglich ist es auch, dass Lt.d.R. Zwiffelhoffer im Zuge der Auflösung der deutschen Grablagen in Saint-Erme ebenfalls auf die Kriegsgräberstätte Sissonne umgebettet wurde und dort als unbekannt in einem der beiden Kameradengräber ruht. Es sind weitere Recherchen notwendig.
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