Im Bereich des deutschen Stellungssystems im südlichen Frontbogen von St. Mihiel fand sich kürzlich dieses zunächst unscheinbare, dann jedoch nach weitergehenden Recherchen interessante Relikt aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Eine Flasche der Posener Likör-Manufaktur Hartwig Kantorowicz AG. Hartwig Kantorowicz (* 1806; † 1871) war ein Unternehmer in der preußischen Provinz Posen und Mitglied der jüdischen Gemeinde. Die Provinz Posen ging aus der historischen Region Großpolen hervor und wurde auf dem Wiener Kongress Preußen zugeschlagen. Posen war der einzige Verwaltungsbereich im Staat Preußen mit mehrheitlich nicht-deutscher Bevölkerung. 1823 gründete Hartwig Kantorowicz im Alter von nur 17 Jahren in der Stadt Posen (polnisch: Poznan) eine Brennerei und Likörfabrik, die auf Grund der hohen Qualität der Produkte schnell überregionale Bekanntheit erlangte. Nach und nach kamen weitere Firmensitze und Filialen hinzu, so auch in Hamburg und Berlin.
Im Jahr 1885 wurde als viertes Kind eines der Söhne des Firmengründers der Historiker und Mediaevist Ernst Hartwig Kantorowicz geboren. Mit ihm findet sich der zweite Anknüpfungspunkt für die Einbindung des Fundstücks in das Thema Erster Weltkrieg.
Ernst Hartwig Kantorowicz wurde nach dem Krieg bekannt unter Anderem durch sein umfassendes Werk über Friedrich II sowie das in den 1930er Jahren entstandene und 1963 wiedererschienene Buch "Götter in Uniform". Seine politische Einstellung war wie die seines Großvaters und Vaters sowie vieler Juden im polnischen Teil des deutschen Reichs streng deutsch-national und antizionistisch. Nach dem Krieg studierte Kantorowicz in Berlin, München und Heidelberg Nationalökonomie und Alte Geschichte. Im Januar 1919 nahm er an der blutigen Niederschlagung des Berliner Spartacus-Aufstandes sowie im März desselben Jahres an der Bekämpfung der Münchener Räterepublik teil. In Heidelberg studierte Kantorowicz neben Personen wie Joseph Goebbels. Dort erhielt er auch Zugang zu dem Kreis um den Schriftsteller und Lyriker Stefan George. Ab 1930 hatte Kantorowicz eine Professur für mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte an der Universität Frankfurt a. M. inne. Wegen seiner Kriegsteilnahme blieb er von den Nationalsozialisten zunächst verschont. 1934 kritisierte er die neuen Machthaber und bat um seine Beurlaubung "solange die Benachteiligung der national eingestellten Juden dauere". Kantorowicz wurde aus dem Öffentlichen Dienst entfernt. 1938 emigrierte er in die USA und lehrte an den Universitäten Berkeley und Princeton. Er starb im Jahr 1963 in Princeton.
Das hiesige Fundstück, das bei genauerer Befassung mit seiner Historie einen intensiven und sehr vielschichtigen Einblick in die jüngere deutsche Geschichte ermöglicht, wird zeitnah ebenfalls Teil einer musealen Präsentation werden.
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